====== Schuldgrundsatz ====== Dem Grundsatz, dass jede [[Strafe]] - nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht - Schuld voraussetzt (nulla poena sine culpa), kommt Verfassungsrang zu.((BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a. BVerfGE 95, 96, 140 [juris Rn. 157]; BVerfG, NVwZ 2003, 1504 [juris Rn. 28])) Er wurzelt in der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG((BVerfGE 140, 317 Rn. 53 f.; Esser in Sieber/Satzger/von Heintschel-Heinegg, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl., § 55 Rn. 60)) [-> [[Schutz der Menschenwürde]]] sowie in Art. 2 Abs. 1 GG((vgl. BVerfGE 95, 96, 140 [juris Rn. 157])) [-> [[Allgemeines Persönlichkeitsrecht]]] und ist im [[Rechtsstaatsprinzip]] als eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes begründet.((BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a BVerfGE 20, 323, 331, [juris Rn. 32]; BVerfGE 84, 82, 87 [juris Rn. 16]; BVerfGE 140, 317 Rn. 53 und 55)) Die strafrechtliche oder strafrechtsähnliche Ahndung einer Tat ohne [[Strafrecht:Schuld]] des Täters ist demnach rechtsstaatswidrig und verletzt den Betroffenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.((BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a. BVerfGE 20, 232, 331 [juris Rn. 34]; BVerfGE 84, 82, 87 [juris Rn. 16])) Nur eigenes Verschulden kann die Verhängung strafrechtsähnlicher Sanktionen begründen; eine Zurechnung des Verschuldens Dritter kommt nicht in Betracht.((BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a. BVerfG, NJW-RR 2007, 860, 861 [juris Rn. 11]; Thönissen, AcP 2019, 855, 879; Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 12)) Im Zivilrecht ist der Schuldgrundsatz im Zwangsvollstreckungsrecht (§ 890 Abs. 1 ZPO) zur Anwendung gebracht worden, weil das vom Gericht verhängte Ordnungsgeld der Ahndung begangenen Unrechts und der Sühne für die Zuwiderhandlung gegen einen gerichtlichen Titel dient.((BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a. BVerfGE 20, 323, 332 [juris Rn. 37 f.]; BVerfGE 58, 159, 162 f. [juris Rn. 9 und 12])) Der Geltungsbereich des Schuldgrundsatzes bestimmt sich materiell anhand des Charakters der Maßnahme. Er kann auch im Zivilrecht Anwendung finden, wenn es um strafähnliche Sanktionen und die strafrechtsähnliche Ahndung einer Tat geht.((BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a. BVerfGE 58, 159, 162 f. [juris Rn. 9 und 12]; Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7, 11; Thönissen, AcP 2019, 855, 860 f.)) Einer [[Strafrecht:Strafe]] ähnlich sind Sanktionen, die wie eine Strafe wirken. Dies ist indes nicht schon dann der Fall, wenn sie mit einer Einbuße an Freiheit oder Vermögen verbunden sind und damit faktisch die Wirkung eines Übels entfalten. Bei der Beurteilung des Strafcharakters einer Rechtsfolge sind vielmehr weitere, wertende Kriterien heranzuziehen, insbesondere der Rechtsgrund der Anordnung und der vom Normverfasser mit ihr verfolgte Zweck.((BGH, Beschluss vom 4. November 2021 - I ZB 54/20; m.V.a. BVerfG, NJW 2021, 1222 Rn. 107 mwN)) ===== siehe auch ===== -> [[Verfahrensrecht:Verfahrensgrundsätze]]