====== Maßgebender Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses ====== Für die konkrete Beurteilung kommunaler Publikationen mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse sind Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge auf ihre Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde zu untersuchen und ist unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 35] - Crailsheimer Stadtblatt II; GRUR 2022, 1336 [juris Rn. 40] - dortmund.de, mwN)) Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikel allein begründen allerdings keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Notwendig ist vielmehr eine wertende Betrachtung der Publikation insgesamt, bei der sich jede schematische Betrachtungsweise verbietet. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung ist entscheidend, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Institutsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu gefährden.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II; m.V.a. Gersdorf, AfP 2016, 293, 300 f.)) Dabei ist neben den dargestellten inhaltlichen Kriterien insbesondere zu berücksichtigen, wie die Informationen den angesprochenen Gemeindemitgliedern präsentiert werden. Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Pressefreiheit bestehen zum Beispiel, wenn die Gemeinde als Teil des Staates auf den lokalen Kommunikationsprozess bestimmend Einfluss nimmt.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II; m.V.a. Gersdorf, AfP 2016, 293, 300; Ricker, AfP 1981, 320, 322; vgl. auch BeckOK.InfoMedienR/Kühling aaO Art. 5 GG Rn. 54)) Je stärker die kommunale Publikation den Bereich der ohne weiteres zulässigen Berichterstattung überschreitet und bei den angesprochenen Verkehrskreisen als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wirkt((vgl. Maunz/Dürig/Grabenwarter aaO Art. 5 Abs. 1 Rn. 375 f.; Merten/Papier/Trute aaO § 104 Rn. 35; Ricker, AfP 1981, 320, 325; Kohl, AfP 1981, 326, 329; Bock, BWGZ 2005, 491, 495)), desto eher ist die Institutsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und die daraus abgeleitete Marktverhaltensregelung des Gebots der Staatsferne der Presse verletzt. Keinesfalls darf die kommunale Publikation den Lesern eine Fülle von Informationen bieten, die den Erwerb einer Zeitung - jedenfalls subjektiv - entbehrlich macht. Je deutlicher - in Quantität und Qualität - ein erweitertes Amtsblatt Themen besetzt, deretwegen Zeitungen gekauft werden, desto wahrscheinlicher ist der Leserverlust bei der privaten Presse und eine damit einhergehende, dem Institut der freien Presse zuwiderlaufende Meinungsbildung durch den Staat von oben nach unten.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II)) Bei der Beurteilung des Gesamtcharakters des Presseerzeugnisses sind auch die optische Gestaltung der Publikation, redaktionelle Elemente der meinungsbildenden Presse, wie Glossen, Kommentare oder Interviews und die Frequenz des Vertriebs zu berücksichtigen. Allein die Verwendung pressemäßiger Darstellungselemente und eine regelmäßige Erscheinungsweise führen zwar nicht automatisch zu einer Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Die Grenze wird aber überschritten, wenn das Druckwerk nicht mehr als staatliche Publikation erkennbar ist. Eine Anzeigenschaltung ist ebenfalls in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Sie ist nicht generell unzulässig, sondern kann zulässiger, fiskalisch motivierter Randnutzen sein.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II; m.V.a. BGH, GRUR 1973, 530, 531 - Crailsheimer Stadtblatt)) Erfolgt die Verteilung kostenlos, erhöht sich die Gefahr einer Substitution privater Presse; auch das ist zu berücksichtigen.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II)) Bei Online-Informationsangeboten, die nach ihren technischen Gegebenheiten nicht den für Druckerzeugnisse bestehenden Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, ist das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen insoweit regelmäßig weniger aussagekräftig als bei Printmedien.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; kritisch Schwarz/Dorsch, NVwZ 2022, 1329, 1334; Beater, WRP 2022, 1202 Rn. 28; von Wallenberg, NJW 2022, 3191, 3193)) Daher kann für die Gesamtbetrachtung bedeutsam sein, ob gerade die das Gebot der Staatsferne der Presse verletzenden Beiträge besonderes Gewicht haben und das Gesamtangebot prägen. Dafür können Verlinkungen auf diese Beiträge sprechen - zum Beispiel von der Startseite des Informationsangebots - oder der Umstand, dass sie zu den meistgelesenen Beiträgen zählen.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; m.V.a. BGH, GRUR 2022, 1336 [juris Rn. 54] - dortmund.de)) Neben den inhaltlichen Kriterien ist in die Gesamtwürdigung insbesondere miteinzubeziehen, wie die Informationen den angesprochenen Nutzerinnen und Nutzern präsentiert werden. Dabei sind die optische Gestaltung, redaktionelle Elemente der meinungsbildenden Presse - wie Glossen, Kommentare oder Interviews - und die Frequenz des Vertriebs zu berücksichtigen. Allein die Verwendung pressemäßiger Darstellungselemente und eine regelmäßige Erscheinungsweise führen zwar nicht automatisch zu einer Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Die Grenze wird aber überschritten, wenn das Angebot nicht mehr als staatliche Publikation erkennbar ist.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; m.V.a. BGH, GRUR 2022, 1336 [juris Rn. 53] - dortmund.de)) Bei Online-Informationsangeboten ist insofern zu berücksichtigen, dass insbesondere Verlinkungen keine pressetypische, sondern eine internettypische Gestaltung darstellen. Es ist der Gemeinde weder verwehrt, bei kommunalen Publikationen im Internet auf internettypische Gestaltungen zurückzugreifen, noch ist es ihr grundsätzlich versagt, Überschriften, Unterüberschriften und Bilder zu verwenden.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; m.V.a. BGH, GRUR 2022, 1336 [juris Rn. 65] - dortmund.de)) Erfolgt die Verteilung der Publikation oder die Bereitstellung des Online-Angebots kostenlos, erhöht sich die Gefahr einer Substitution privater Presse.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; m.V.a. BGH, GRUR 2022, 1336 [juris Rn. 53] - dortmund.de)) Das gilt vor allem angesichts der zunehmenden Zahl von - zumindest teilweise - kostenpflichtigen Online-Nachrichtenportalen, weil damit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eher zu dem kostenfreien Internetangebot einer Kommune greifen, als das kostenpflichtige Online-Angebot der Lokalzeitung in Anspruch zu nehmen.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; m.V.a. Ettig, ZUM 2022, 846, 847; dies., K&R 2023, 16, 19)) Eine Anzeigenschaltung ist ebenfalls in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Sie ist nicht generell unzulässig, sondern kann zulässiger, fiskalisch motivierter Randnutzen sein (vgl. BGH, GRUR 2022, 1336 [juris Rn. 53] - dortmund.de, mwN). Geht sie über einen solchen Randnutzen hinaus, kann dies zu einer Verletzung der Marktverhaltensregelung des Gebots der Staatsferne der Presse jedenfalls beitragen.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de)) ===== siehe auch ===== -> [[Gebot der Staatsferne der Presse]]