====== Gebot der Staatsferne der Presse ====== -> [[Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne der Presse]] \\ -> [[Institut der freien Presse]] \\ -> [[Staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation als Ausdruck der Selbstverwaltungsgarantie]] \\ -> [[Maßgebender Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses]] \\ -> [[Staatliches Sachlichkeitsgebot]] \\ -> [[Amtliche Mitteilungen]] \\ -> [[Zulässiges Informationshandeln der Kommunen]] \\ -> [[Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit]] \\ -> [[Unzulässige Tätigkeiten, die eine vom Staat unabhängige Meinungsbildung der Öffentlichkeit gefährden]] \\ -> [[Stadtmarketing und die Tourismusförderung]] \\ -> [[Anzeigenschaltung in einem kommunalen Presseerzeugnis]] \\ Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Art 5 (1) GG [-> [[Presse- und Rundfunkfreiheit]]] fordert zur Sicherung der Meinungsvielfalt die Staatsferne der Presse.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II)) Dieser Grundsatz schließt es aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar Presseunternehmen beherrscht, die nicht lediglich Informationspflichten der öffentlichen Stellen erfüllen. Der Staat kann zwar zur Sicherung der Vielfalt und zur Vermeidung einseitigen Einflusses auf die öffentliche Meinungsbildung infolge Zusammenballung publizistischer Macht Gefahren durch gesetzliche Regelungen begegnen.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011 - I ZR 129/10 - Einkauf Aktuell; m.V.a. vgl. BVerfGE 20, 162, 175; vgl. zur Rundfunkfreiheit BVerfGE 121, 30, 52 mwN)) Der Staat darf sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse betätigen.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II; m.V.a. BVerfGE 20, 162, 175 [juris Rn. 37]; zur Rundfunkfreiheit vgl. BVerfGE 121, 30, 52 [juris Rn. 95] mwN)) Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthält nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit, sondern garantiert als objektive Grundsatznorm die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt. Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates und für die Meinungsbildung in einer Demokratie unentbehrlich. Die Presse steht als Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seiner gewählten Vertretung. Eine ausufernde hoheitliche Öffentlichkeitsarbeit birgt Gefahren für die Neutralität der Kommunikationsprozesse; die öffentliche Hand muss sich in Art, Frequenz und Umfang in Zurückhaltung üben, zumal staatlichen Publikationen eine erhöhte Glaubwürdigkeit und damit ein besonderes Beeinflussungspotential zukommt.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 31] - Crailsheimer Stadtblatt II, mwN)) Das verfassungsrechtliche Gebot, dass die Presse von staatlichen Einflüssen freizuhalten ist, bezieht sich nicht nur auf manifeste Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßreglung der im Bereich der Presse tätigen Unternehmen, sondern weitergehend auch auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates.((BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011 - I ZR 129/10 - Einkauf Aktuell; m.V.a. wiederum zur Rundfunkfreiheit BVerfGE 121, 30, 52 f. mwN)) Das für den Staat bestehende, aus der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete Gebot, sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse zu betätigen, regelt die Frage, wie sich Hoheitsträger und von Hoheitsträgern beherrschte Unternehmen im Falle ihrer Teilnahme am Wettbewerbsgeschehen auf dem Gebiet der Presse zu verhalten haben.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II; m.V.a. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011 - I ZR 129/10, GRUR 2012, 728 Rn. 9 und 11 = WRP 2012, 935 - Einkauf Aktuell)) Dieses Gebot ist im Sinne des § 3a UWG [-> [[Wettbewerbsrecht:Marktverhaltensregeln]]] zumindest auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II; m.V.a. vgl. BGH, GRUR 2012, 728 Rn. 11 - Einkauf Aktuell; BGH, Urteil vom 30. April 2015 - I ZR 13/14, BGHZ 205, 195 Rn. 59 - Tagesschau-App; Kahl/Waldhoff/Walter/Degenhart, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Juli 2017, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 256; aA LG Dortmund, Beschluss vom 26. Juni 2018 - 3 O 262/17, BeckRS 2018, 15932; Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 3a Rn. 20)) Das Gebot der Staatsferne der Presse setzt der am Markt tätigen öffentlichen Hand zugunsten der anderen Marktteilnehmer - insbesondere der institutionell geschützten Presse, aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger an einer unabhängigen Information und Meinungsbildung - enge Grenzen. Es soll nicht bestimmte Anbieter von bestimmten Märkten fernhalten((vgl. BGHZ 205, 195 Rn. 47 und 56 - Tagesschau-App, mwN)), sondern lässt zu, dass private und staatliche Stellen sich in einem überschneidenden Bereich auf dem Markt begegnen.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II)) [[Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne der Presse]] bestimmen sich bei gemeindlichen Publikationen unter Berücksichtigung der aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden gemeindlichen Kompetenzen einerseits und der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits.((BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - I ZR 112/17 - Crailsheimer Stadtblatt II)) Das Gebot der Staatsferne der Presse lässt eine Öffentlichkeits- und Informationsarbeit von Hoheitsträgern nur im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben zu. Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung einer kommunalen Publikation unter dem Blickwinkel von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sowie in Art. 78 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 LV NRW gewährleistete Selbstverwaltungsgarantie als Kompetenznorm, die hinsichtlich gemeindlicher Informationspflichten von § 23 Gemeindeordnung für das Land NordrheinWestfalen (GemO NRW) konkretisiert wird.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 23] - Crailsheimer Stadtblatt II, mwN)) Staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation bedeutet Kompetenzwahrnehmung im zugewiesenen Aufgabenbereich. Die Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit ein. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt namentlich die Darlegung und Erläuterung der Politik hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 24] - Crailsheimer Stadtblatt II, mwN)) Staatliche Öffentlichkeitsarbeit gestattet damit insbesondere, die Bürgerinnen und Bürger mit solchen Informationen zu versorgen, deren diese zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung bedürfen.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BVerfG, NJW 2011, 511 [juris Rn. 23])) Äußerungs- und Informationsrechte der Gemeinden finden ihre Legitimation danach in der staatlichen Kompetenzordnung, namentlich der [[Selbstverwaltungsgarantie]] des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 78 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 LV NRW. Die Selbstverwaltungsgarantie gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 25] - Crailsheimer Stadtblatt II, mwN)) Das verfassungsrechtliche Gebot, die Presse zur Sicherung der Meinungsvielfalt von staatlichen Einflüssen freizuhalten, bezieht sich nicht nur auf manifeste Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung der im Bereich der Presse tätigen Unternehmen, sondern weitergehend auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 18] - Crailsheimer Stadtblatt II)) Dazu zählt auch ein ausuferndes Informationshandeln des Staates, gleich in welcher Form, das die Kommunikationsprozesse der freien Presse als Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seiner gewählten Vertretung und damit die Meinungsbildung von unten nach oben gefährdet.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de)) Das Gebot der Staatsferne der Presse schützt auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führen, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. Papier/Schröder, DVBl. 2017, 1, 7; vgl. auch Degenhart, K&R Beilage 2016, Nr. 01, S. 1, 14 f.)) Zum Verhältnis der [[kommunale Selbstverwaltungsgarantie|kommunalen Selbstverwaltungsgarantie]] und der institutionellen Garantie der Presse hat der Senat in der Entscheidung "Crailsheimer Stadtblatt II" ausgeführt, dass die staatsorganisationsrechtliche Kompetenznorm des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, die keine grundrechtliche Position der Gemeinde begründet, die Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht einschränkt((vgl. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 32])). Daran ist mit Blick darauf festzuhalten, dass es um einen Konflikt zwischen staatlicher Kompetenz einerseits und grundrechtlicher Freiheit andererseits geht. Die Aussage ist allerdings insoweit zu konkretisieren, als die beiden genannten Verfassungsnormen mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen sind.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. Winkler, JZ 2019, 367, 368 mwN; Schröder, WRP 2020, 1278 Rn. 7 bis 10)) Im Ergebnis muss dabei jedoch die Institutsgarantie aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG größtmögliche Wirksamkeit erhalten, während die Gemeinde lediglich in der Lage sein muss, ihre Aufgaben zu erfüllen.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de)) Die dargestellten Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit verbieten auch bei einer vermeintlich unzureichenden Versorgung mit Informationen über das örtliche Geschehen durch die private Presse, eine solche angeblich vorhandene Informationslücke durch eine eigene, von amtlichen Bezügen losgelöste Informationstätigkeit zu schließen.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 32] - Crailsheimer Stadtblatt II; aA Katz, DÖV 2019, 261, 267; Leeb/Waldhauser, AnwZert ITR 8/2019 Anm. 2; Jung aaO S. 129 f.; vgl. auch Buhren, LKV 2001, 303, 305)) Eine Einflussnahme des Staates auf den Meinungsmarkt könnte mit dem Institut der freien Presse überhaupt nur vereinbar sein, wenn sie wegen der Konkurrenz mit der Fülle der vom Staat unabhängigen Zeitungen und Zeitschriften am Bild der freien Presse substantiell nichts änderte.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 32] - Crailsheimer Stadtblatt II, mwN; Bullinger in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VII, 3. Aufl., § 163 Rn. 45; Gersdorf, AfP 2016, 293, 201 mwN)) Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikel allein begründen keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Notwendig ist vielmehr eine wertende Betrachtung der Publikation insgesamt, bei der sich jede schematische Betrachtungsweise verbietet.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de; m.V.a. BGH, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 40] - Crailsheimer Stadtblatt II)) Ein Verbot einzelner Beiträge in einer kommunalen Publikation lässt sich danach nicht erreichen. Einzelne Artikel können schon keinen Substitutionseffekt((vgl. dazu Papier/Schröder, DVBl. 2017, 1, 7)) haben. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob die Berichterstattung insgesamt einen pressesubstituierenden Gesamtcharakter hat. Für die dafür erforderliche Gesamtbetrachtung müssen die Beiträge jeweils in den Kontext der gesamten Publikation gestellt werden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 29. Mai 2019 - 4 U 180/17, juris Rn. 101). Eine von der Gesamtausgabe losgelöste Würdigung nur der angegriffenen Beiträge - alternativ oder kumulativ - ist nicht möglich, weil es auf die Publikation insgesamt ankommt, nicht auf einzelne ihrer Bestandteile. Das gilt auch für Publikationen im Internet.((BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 97/21 - dortmund.de)) Das verfassungsrechtliche Gebot, die Presse zur Sicherung der Meinungsvielfalt von staatlichen Einflüssen freizuhalten, bezieht sich nicht nur auf manifeste Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung der im Bereich der Presse tätigen Unternehmen, sondern weitergehend auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates. Dazu zählt auch ein ausuferndes Informationshandeln des Staates, gleich in welcher Form, das die Kommunikationsprozesse der freien Presse als Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seiner gewählten Vertretung und damit die Meinungsbildung von unten nach oben gefährdet. Das Gebot der Staatsferne der Presse schützt auch vor Substitutionseffekten kommunaler Online-Informationsangebote, die dazu führen, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann.((BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 - I ZR 152/21 - muenchen.de; m.V.a. BGH, GRUR 2022, 1336 [juris Rn. 37] - dortmund.de, mwN)) ===== siehe auch ===== Art 5 (1) GG -> [[Presse- und Rundfunkfreiheit]]