====== Auslegung der Patentansprüche ====== Die Auslegung der [[Patentansprüche]] bezieht sich auf den Prozess, durch den der genaue [[Schutzbereich]] eines Patents bestimmt wird [Art. 69 (1) EPÜ -> [[Bestimmung des Schutzbereichs]]]. Dies ist entscheidend, um festzustellen, welche technischen Merkmale durch das Patent geschützt sind und welche nicht [-> [[Patentschutz]]]. Die Auslegung der Patentansprüche ist sowohl im Prüfungsverfahren als auch in Verletzungsverfahren von zentraler Bedeutung. Grundlage dafür, was durch ein europäisches Patent geschützt ist, ist gemäß Art. 69 EPÜ der Inhalt der [[Patentansprüche]]. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat.((BGH, Urteil vom 14. Dezember 2010 - X ZR 193/03 - Crimpwerkzeug IV; m.V.a. BGH, Urteil vom 17. April 2007 - X ZR 72/05, BGHZ 172, 88 Rn. 14 - Ziehmaschinenzugeinheit, mwN)) Dafür ist entscheidend, wie der Patentanspruch nach objektiven Kriterien aus fachlicher Sicht zu bewerten ist. Es ist also durch Bewertung seines Wortlauts aus der Sicht des Fachmanns zu bestimmen, was sich aus den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als Lehre zum technischen Handeln ergibt, die unter Schutz gestellt ist.((BGH, Urteil vom 14. Dezember 2010 - X ZR 193/03 - Crimpwerkzeug IV; m.V.a. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, GRUR 2010, 858 Rn. 13 - Crimpwerkzeug III)) Der [[Patentanspruch]] ist nicht nur der Ausgangspunkt, sondern auch die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs eines europäischen Patent nach Art. 69 EPÜ [-> [[Bestimmung des Schutzbereichs]]] in Verbindung mit dem Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ [-> [[Auslegungsprotokoll zum Europäischen Patentübereinkommen]]].((EPG, Berufungsgericht, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CoA_297/2024)) Für die [[Auslegung der Patentansprüche|Auslegung eines Patentanspruchs]] kommt es nicht allein auf seinen genauen Wortlaut im sprachlichen Sinne an. Vielmehr sind die Beschreibung und die Zeichnungen als Erläuterungshilfen für die Auslegung des Patentanspruchs stets mit heranzuziehen und nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten im Patentanspruch anzuwenden. Das bedeutet aber nicht, dass der Patentanspruch lediglich als Richtlinie dient, und sich sein Gegenstand auch auf das erstreckt, was sich nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt. Der Patentanspruch ist aus Sicht der [[Fachperson]] auszulegen.((EPG, Berufungsgericht, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CoA_297/2024)) Bei der Anwendung dieser Grundsätze soll ein angemessener Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender [[Grundrecht:Rechtssicherheit]] für Dritte verbunden werden.((EPG, Berufungsgericht, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CoA_297/2024)) Diese Grundsätze für die Auslegung eines Patentanspruchs gelten gleichermaßen für die Beurteilung der Verletzung [PatG -> [[Patentrecht:Patentverletzung]], EPGVO, Abschnitt 1 -> [[UPC:Verletzungsklage]]] und des Rechtsbestands eines europäischen Patents.((EPG, Berufungsgericht, Beschl. v. 3. Dezember 2024 – UPC_CoA_297/2024)) Die [[Auslegung der Patentansprüche|Auslegung von europäischen Patentansprüchen]] ist sowohl im [[Prüfungsverfahren]] vor dem [[Europäischen Patentamt]] als auch in nationalen Patentverletzungs- und [[Patentrecht:Nichtigkeitsverfahren]] von zentraler Bedeutung [-> [[Patentrecht:Auslegung der Patentansprüche]]]. Nationale Gerichte müssen die Grundsätze des Artikels 69 EPÜ und des Auslegungsprotokolls anwenden, um den Schutzbereich des Patents zu bestimmen und sicherzustellen, dass der Patentinhaber einen angemessenen Schutz erhält, während gleichzeitig ausreichende Rechtssicherheit für Dritte gewährleistet wird. Relevante Entscheidungen wie G 1/98 und T 1173/97 betonen die Notwendigkeit einer einheitlichen und fairen Auslegung der Patentansprüche in allen Verfahren. Es ist durch Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen zu ermitteln, ob die Kennzeichnung des Gegenstands eines Nebenanspruchs dahin, dass er eine in Übereinstimmung mit den vorangehenden Ansprüchen ausgebildete Vorrichtung umfasst (hier: comprising a device in accordance with claims 1 to 12), die Verwirklichung der Merkmale sämtlicher vorangehender Unteransprüche erfordert.((BGH, Urteil vom 1. April 2014 - X ZR 31/11 - Reifendemontiermaschine)) Der Fachmann sollte bei der Prüfung eines Anspruchs unlogische oder technisch unsinnige Auslegungen ausschließen. Er sollte versuchen, durch Synthese, also eher aufbauend als zerlegend, zu einer Auslegung des Anspruchs zu gelangen, die technisch sinnvoll ist und bei der die gesamte Offenbarung des Patents berücksichtigt wird. Das Patent ist mit der Bereitschaft auszulegen, es zu verstehen, und nicht mit dem Willen, es misszuverstehen.((Prüfungsrichtlinien, II.A.6.1; m.V.a. T 190/99; bestätigt u. a. durch T 437/98, T 1084/00, T 920/00, T 552/00, T 500/01, T 1023/02, T 749/03, T 859/03, T 1241/03, T 1418/04, T 906/05, T 405/06, T 1537/05, T 1204/06, T 1771/06)) Ein Begriff, der in zwei Merkmalen eines Patentanspruchs verwendet wird, kann unterschiedlich auszulegen sein, wenn sich dies aus der Funktion der beiden Merkmale ergibt.((BGH, Urteil vom 12. März 2024 - X ZR 12/22 - Variationsnut; m.V.a. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2016 - X ZR 21/15, GRUR 2017, 152 Rn. 17 - Zungenbett)) Da die [[Erteilungsakte]] in Art. 69 EPÜ [Art. 69 (1) EPÜ -> [[Bestimmung des Schutzbereichs]]] keine Erwähnung findet, bildet sie grundsätzlich kein zulässiges Auslegungsmaterial. Ein Europäisches Patent kann nicht auf der Grundlage von Textstellen, die im Erteilungsverfahren aus der Beschreibung gestrichen wurden, ausgelegt werden.((EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024; Fortführung von Lokalkammer Düsseldorf, Anordnung vom 9. April 2024, CFI_452/2023 = ACT_589655/2023 – Ortovox Sportartikel gg. Mammut Sports u.a.)) Der Sinngehalt eines [[Unteranspruch|Unteranspruchs]] kann grundsätzlich zur richtigen Auslegung des [[Hauptanspruch|Hauptanspruchs]] eines Patents beitragen. Unteransprüche engen den Gegenstand des Hauptanspruchs jedoch regelmäßig nicht ein, sondern zeigen nicht anders als Ausführungsbeispiele lediglich – gegebenenfalls mit einem zusätzlichen Vorteil verbundene – Möglichkeiten seiner Ausgestaltung.((EPG, Lokalkammer München, Anordnung v. 25. November 2024 – UPC_CFI_443/2024)) ===== siehe auch ===== Artikel 84 EPÜ -> [[Patentansprüche]] Artikel 69 EPÜ -> [[Schutzbereich]] -> [[Funktionelle Anspruchsmerkmale]] -> [[Patentrecht:Auslegung der Patentansprüche]] (Rechtsprechung der deutschen Gerichte)